Da mir die Frage nach der Akzeptanz des biologischen Ist-Zustands und der eigenen Geschlechtsidentität in den letzten Monaten mehrfach bei meinen Klient*innen begegnet ist und dort viel Unsicherheit spürbar ist, möchte ich kurz ein paar Zeilen zum Thema verlieren.
Transidentität ist ein individueller Prozess, der sehr unterschiedliche Wege einschlagen kann. Während viele Trans Frauen – also Menschen, die bei der Geburt als männlich eingestuft wurden, sich aber als Frauen identifizieren – den Wunsch nach einer geschlechtsangleichenden Operation haben, entscheiden sich andere bewusst dagegen. Manche nehmen Hormone ein, lassen sich Brüste aufbauen und leben in ihrer weiblichen Rolle, behalten jedoch ihre ursprünglichen Genitalien und empfinden diese nicht als Widerspruch zu ihrer Identität. Im Gegenteil: Für einige wird dieser Körperaspekt zu einem Teil ihrer Persönlichkeit und ihres aktiven Sexuallebens.
Für diese Form der Transition gibt es eine neutrale Bezeichnung: Man spricht von Trans Frauen ohne Genital-OP oder international von „non-op trans women“. Dieser Begriff drückt aus, dass es sich nicht um einen „unvollständigen“ oder „vorläufigen“ Zustand handelt, sondern um eine bewusste, individuelle Entscheidung. Die Vorstellung, eine Transition sei erst dann „abgeschlossen“, wenn alle möglichen medizinischen Schritte vollzogen sind, greift zu kurz. Fachliche Leitlinien betonen, dass es so viele Wege der Transition gibt wie Menschen selbst – manche wünschen alle verfügbaren Maßnahmen, manche nur einzelne, andere gar keine.
In der LGBTQIA+ Community gilt als Grundprinzip, dass jede Trans Frau unabhängig von medizinischen Eingriffen als Frau anerkannt wird. Selbstbestimmung steht dabei im Mittelpunkt. Gleichzeitig berichten viele Trans Frauen ohne Genital-OP von ambivalenten Erfahrungen: Einerseits erfahren sie in queeren Räumen Akzeptanz und Unterstützung, andererseits begegnen sie auch Stigmatisierung oder Fetischisierung, etwa in romantischen und sexuellen Kontexten. Um dem entgegenzuwirken, haben sich in den letzten Jahren sichtbare T4T-Subkulturen entwickelt („trans for trans“), in denen Trans Menschen bevorzugt mit anderen Trans Menschen Beziehungen eingehen. Dort erleben viele ein höheres Maß an Sicherheit, Verständnis und Zugehörigkeit.
Diese Vielfalt zeigt: Es gibt keinen „richtigen“ oder „falschen“ Weg, trans zu sein. Eine Transition ist nicht erst dann gültig, wenn ein bestimmter medizinischer oder gesellschaftlicher Maßstab erfüllt ist. Entscheidend ist allein, dass jede Person die Schritte gehen kann, die für ihr eigenes Wohlbefinden und ihre eigene Identität stimmig sind – und dass diese Entscheidung respektiert wird. Akzeptanz bedeutet in diesem Zusammenhang, Trans Frauen nicht an äußeren Kriterien wie Operationen oder Körpermerkmalen zu messen, sondern ihre Identität und Selbstdefinition als selbstverständlich anzuerkennen.